Die Zeit von der Weimarer Republik zum Nationalsozialismus in Deutschland war geprägt von tiefgreifenden politischen, sozialen und wirtschaftlichen Veränderungen, die sich in der Bevölkerung und den politischen Landschaften der Regionen widerspiegelten. Insbesondere die unterschiedliche Sozialstruktur und konfessionelle Zusammensetzung in den Landkreisen Balingen und Hechingen bieten ein faszinierendes Beispiel dafür, wie lokale Gegebenheiten die politische Stimmung und die Wahlergebnisse beeinflussten. Dieser Prozess der politischen und gesellschaftlichen Transformation lässt sich aber nicht nur auf Deutschland beschränken – er war eingebettet in die turbulente weltpolitische Lage der 1920er und 1930er Jahre, die durch die Nachwirkungen des Ersten Weltkriegs, die Weltwirtschaftskrise und das Erstarken autoritärer Regime geprägt war.
Die Weimarer Republik: Ein fragiles Experiment der Demokratie
Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs und dem Sturz des Kaiserreichs wurde 1919 die Weimarer Republik gegründet – ein demokratisches Experiment, das in einer instabilen politischen Landschaft stattfand. Die junge Republik sah sich sofort mit einer Vielzahl an Problemen konfrontiert: den wirtschaftlichen und politischen Folgen des Krieges, der Hyperinflation von 1923, den sozialen Unruhen und dem Aufstieg extremistischer Kräfte sowohl von links (z.B. die Kommunistische Partei Deutschlands, KPD) als auch von rechts (z.B. die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei, NSDAP).
Im regionalen Kontext von Balingen und Hechingen lassen sich die sozioökonomischen Unterschiede und politischen Disparitäten deutlich nachzeichnen. Diese beiden Kreise gehörten zu den früheren Oberamtsbezirken im Königreich Württemberg und unterschieden sich nicht nur in ihrer industriellen Struktur, sondern auch in ihrer konfessionellen Zusammensetzung.
Die Wahlergebnisse in der Weimarer Republik: Balingen vs. Hechingen
Balingen, als stärker industrialisierter Landkreis, hatte eine größere Arbeiterbevölkerung, was zu einer stärkeren Präsenz sozialistischer und kommunistischer Parteien führte. Bei den Reichstagswahlen von 1930 erzielte die Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) in Balingen einen signifikanten Stimmenanteil von 22,2 %, während die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) 13,6 % der Stimmen gewann. Die liberale Deutsche Staatspartei (DDP) und die Deutsche Demokratische Partei (DDP) erreichten 12,6 %, was ebenfalls eine hohe Zahl war. Diese Parteien waren ein wichtiger Teil des politischen Spektrums der Weimarer Republik, besonders in industrialisierten Gebieten wie Balingen. Auf der anderen Seite war die NSDAP hier mit 12,6 % eine aufstrebende Kraft, aber noch nicht die dominierende politische Macht.
Hechingen, im Gegensatz dazu, war traditionell katholisch und weniger industrialisiert. Der katholische Einfluss war in dieser Region sehr stark, was sich auch in den Wahlergebnissen widerspiegelte. Die Zentrumspartei, das katholische Pendant zur liberalen SPD, war mit 59,9 % die stärkste Kraft. Dagegen erreichte die SPD hier nur 8,1 %, und die KPD war mit 7,0 % ebenfalls schwächer als in Balingen. In Hechingen fanden sich auch größere Anteile der konservativen Parteien, die die Interessen der katholischen Bevölkerung und ihrer landwirtschaftlichen Prägung vertraten.
In den Jahren vor der Machtübernahme durch die NSDAP zeigte sich auch ein stärkeres regionales Gefälle in der Wahlbeteiligung und der Unterstützung für die nationalsozialistische Bewegung. Während die NSDAP in Balingen bei den Wahlen 1930 mit 12,6 % eine relativ beachtliche Zustimmung erhielt, war ihre Präsenz in Hechingen mit nur 8,6 % noch schwächer. Doch dieser Unterschied währte nicht lange. Im Jahr 1933, als Adolf Hitler die Macht in Deutschland übernahm, holte die NSDAP in Hechingen rasch auf. Die Partei erreichte in Hechingen und Balingen nahezu identische Wahlergebnisse von 43 % – ein dramatischer Zuwachs, der das Ausmaß des nationalsozialistischen Aufstiegs verdeutlicht.
Der Aufstieg des Nationalsozialismus: Eine Weltgeschichte im Hintergrund
Der Aufstieg der NSDAP kann nicht isoliert betrachtet werden, sondern muss im Kontext der internationalen Geschichte und der politischen Strömungen der Zeit verstanden werden. Die Weltwirtschaftskrise von 1929 hatte verheerende Auswirkungen auf die globale Wirtschaft, und in Deutschland führte sie zu einer massiven Arbeitslosigkeit und einer Zerstörung des Vertrauens in die Weimarer Republik. Die Menschen suchten nach Lösungen und fanden sie oft in extremen politischen Bewegungen, die einfache Antworten auf komplexe Probleme versprachen.
Die NSDAP, unter der Führung von Adolf Hitler, verstand es, die Ängste und den Frust der Bevölkerung zu kanalisieren. Mit einer Mischung aus nationalistischem Stolz, Antisemitismus, Kommunistenfeindlichkeit und dem Versprechen eines „Dritten Reiches“, das Deutschland aus der Depression führen würde, konnte die Partei an Boden gewinnen.
In Hechingen und Balingen zeigte sich, wie sich der nationalsozialistische Magnetismus auch auf traditionell konservative, katholische Gebiete auswirken konnte. Die NSDAP zog die breite Unterstützung verschiedener Bevölkerungsschichten an – von der Arbeiterklasse bis hin zu Teilen der Mittelschicht. In der Region fanden die Nazis vor allem in den Jahren 1932 und 1933 eine massive Wählerschaft, die bereit war, den politischen Umbruch zu unterstützen.
Der Zweite Weltkrieg und die Verfolgung der Juden
Die wahre Tragödie und der unfassbare humanitäre Preis, den der Nationalsozialismus von 1933 bis 1945 forderte, wurde besonders durch die Verfolgung und Vernichtung der jüdischen Bevölkerung sichtbar. Die systematische Ausgrenzung, Enteignung und schließlich die Deportation der Juden aus ganz Deutschland und den von Deutschland besetzten Gebieten stellt einen der dunkelsten Momente der Menschheitsgeschichte dar.
Im Landkreis Hechingen und Balingen wurden Tausende von Juden deportiert und ermordet. 1941 wurden aus Württemberg ausländische Juden nach Haigerloch zwangsweise evakuiert, wo sie zusammen mit den 85 ansässigen Juden in die Vernichtungslager im Osten verschleppt wurden. Mindestens 280 Menschen starben dabei. Auch in Hechingen waren von den 122 verschleppten jüdischen Einwohnern nur sieben Überlebende zu verzeichnen. Der Großteil der jüdischen Bevölkerung in Hechingen, die 1933 noch mehr als 100 Menschen umfasste, wurde ausgelöscht. Die Erinnerung an diese Verbrechen lebt in den Gedenkstätten und Ehrenfriedhöfen in der Region weiter.
Konzentrationslager im „Unternehmen Wüste“
Neben der Vernichtung der jüdischen Bevölkerung war die Region auch Schauplatz von Verbrechen, die im Zusammenhang mit den Konzentrationslagern standen. Im Jahr 1944 entstand das sogenannte „Unternehmen Wüste“, bei dem die Nazis versuchten, entlang des Albtraufs Schieferöl aus ölhaltigem Schiefer zu gewinnen. Zur Arbeit in den lagern wurden Häftlinge aus verschiedenen europäischen Ländern gezwungen. Die Bedingungen in den sieben Außenlagern des Konzentrationslagers Natzweiler-Struthof waren katastrophal, und Tausende von Häftlingen starben an Hunger, Krankheiten und den unmenschlichen Arbeitsbedingungen.
Die Lager waren über das gesamte Gebiet des heutigen Zollernalbkreises verteilt, darunter in Bisingen, Dautmergen, Dormettingen, Erzingen, Frommern, Schömberg und Schörzingen. Die Häftlinge, meist Juden, Kriegsgefangene und andere Minderheiten, wurden dort in der Schieferölproduktion eingesetzt. Doch diese wirtschaftlichen Bemühungen waren wenig erfolgreich – die Produktionskosten waren so hoch, dass das Unternehmen wirtschaftlich nicht tragfähig war. Dennoch waren die Haftbedingungen in den Lagern brutal und führten zu unzähligen Toten. Allein auf den Ehrenfriedhöfen in Bisingen, Schömberg und Schörzingen sind mindestens 3.472 Tote beerdigt worden.
Diese Lager und das „Unternehmen Wüste“ sind bis heute ein Mahnmal für das grausame und unmenschliche Regime der Nazis und für die unzähligen Opfer des Zweiten Weltkriegs.
Erinnerung und Gedenken
Heute erinnern zahlreiche Gedenkstätten, Ehrenfriedhöfe und die KZ-Gedenkstätte in Bisingen an die Opfer des Nationalsozialismus. Der Gedenkpfad Eckerwald bei Schömberg-Schörzingen sowie andere Gedenkstätten bieten heute einen Ort der Erinnerung an die Gräueltaten der Nazi-Zeit. Diese Erinnerungsorte sind nicht nur für die direkte Nachkriegsbevölkerung von Bedeutung, sondern auch für die Generationen nach dem Zweiten Weltkrieg, um das historische Gedächtnis wachzuhalten und die Schrecken der Vergangenheit nicht in Vergessenheit geraten zu lassen.
Die Auseinandersetzung mit der Geschichte und die Erinnerung an das Leid, das der Nationalsozialismus in ganz Europa und der Welt verursachte, ist von entscheidender Bedeutung, um sicherzustellen, dass sich solche Verbrechen nie wiederholen können.